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15.02.2012 Verhandlung vor dem Strafgericht Gemünd / Hausfriedensbruch Vogelsang (1.Instanz)
21.03.2012 Urteil Amtsgericht Gemünd / Hausfriedensbruch Vogelsang
24.07.2012 persönliche Erklärung vor dem LG Aachen (2.Instanz)
24.07.2012 Verhandlung vor dem LG Aachen, mein Plädoyer und mein letztes Wort vor der Urteilsverkündung
Urteil Landgericht Aachen (2.Instanz)
Revisionsbegründung für das OLG Köln (3.Instanz)
Freispruch durch Beschluss des OLG Köln (3.Instanz)
Verwaltungsgericht Aachen 4.Kammer Grundrechtsmissachtung Kreis Euskirchen vom 23.09.2012
Verwaltungsgericht Aachen 6.Kammer Grundrechtsmissachtung Land NRW (Polizei) vom 23.09.2012

Freispruch durch Beschluss des OLG Köln (3.Instanz)

III-1RVs 253/12

82 Ss 65/12

OBERLANDESGERICHT KÖLN

BESCHLUSS

in der Strafsache

gegen                                          Sven Kraatz,

                 geboren am 19.Dezember 1971 in Dresden,

                wohnhaft Wolfsstraße 23, 53937 Schleiden,

wegen                                         Hausfriedensbruch

hat der 1. Strafsenat des Oberlandesgericht Köln

auf die Revision des Angeklagten gegen das Urteil der 2. kleinen Strafkamer des Landgerichts Aachen vom 24.Juli 2012

nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft einstimmig gemäß § 349 Abs.4 StPO

am 7.Dezember 2012

beschlossen:

I. Das angefochtene Urteil wird mit den dazugehörigen Feststellungen aufgehoben.

II. Der Angeklagte wird freigesprochen.

III. Die Kosten des Verfahrens sowie die notwendigen Auslagen des Angeklagten trägt die Staatskasse.

Gründe

Die Generalstaatsanwaltschaft hat in ihrer Antragsschrift vom 08.11.2012 die Aufhebung des angefochtenen Urteils sowie den Freispruch des Angeklagten beantragt und dies wie folgt begründet:

Die gemäß § 335 StPO statthafte und auch ansonsten zulässige Revision hat in der Sache  Erfolg, sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zum Freispruch des Angeklagten aus Rechtsgründen.

Die erhobene Sachrüge greift durch, weil die Feststellung der Strafkammer die Verurteilung zweier Straftaten nach §123 StGB nicht tragen.

Wegen Hausfriedensbruch ist unter anderem zu bestrafen, wer in das befriedete Besitztum oder abgeschlossene Räume, die zum öffentlichen Verkehr bestimmt sind, widerrechtlich eindringt. Sowohl der von Gebäuden und Mauern umgebene "Apellplatz" als auch die Räumlichkeiten der Besucherinformation sind vom Schutzbereich der Vorschrift umfasst. Eindringen bedeutet, dass sich der Täter gegen den Willen des Berechtigten in die geschützten Räume begibt (Fischer, StPO, 59.Aufl.,§123Rn. 14). Die Äußerung des Willens kann sich aus einer besonderen Erklärung, z.B. einem Hausverbot ergeben (Fischer, a.a.O. Rn 16). Widerrechtlich handelt, wer fremdes Hausrecht verletzt, ohne dass ihm ein stärkeres Recht zusteht (Fischer,a.a.O.,Rn.36).

Die Feststellung, der Angeklagte habe trotz des damals bestehenden Hausverbotes, das ihm spätestens seit dem 21.05.2011 bekannt gewesen sei, das Gelände der Burg Vogelsang betreten und habe sich dort aufgehalten, reicht für einen Schuldspruch wegen Hausfriedensbruchs nicht aus. Das Landgericht hat seine Auffassung, der Angeklagte sei widerrechtlich dort eingedrungen, auf das diesem erteilte Hausverbot gestützt, ohne dieses ausreichend auf seine Wirksamkeit zu überprüfen. Rechtliche Erwägungen zur Wirksamkeit des Hausverbotes enthält das Urteil nicht.

Hierbei ist zunächst zu beachten, dass der Zugang des Schreibens vom 11.04.2011 an den Angeklagten, nicht hat festgestellt werden können und Grundlage für eine Beurteilung der strafrechtlichen Relevanz des Hausverbotes die mündliche Mitteilung des Zeugen Breda an den Angeklagten vom 21.05.2011, gegen diesen sei ein Hausverbot ausgesprochen worden, ist.

Insbesondere bedeutsam für die Wirksamkeit des Hausverbots ist der Umstand, dass sich das gegenständliche Grundstück im Eigentum der Bundesanstalt für Immobilienaufgaben und damit in öffentlicher Hand befindet. Zwar sind Teile der Immobilie, die in dem Urteil nicht näher konkretisiert werden, der privatrechtlichen Standortentwicklungsgesellschaft  Vogelsang  mbH (SEV) überlassen, nach den Urteilsfeststellungen wird das Hausrecht jedoch von der Bundesanstalt für immobilienaufgaben neben der SEV ausgeübt bzw. die SEV vertritt die Bundesanstalt. Von der öffentlichen Hand beherrschte gemischtwirtschaftliche Unternehmen in Privatrechtsform unterliegen ebenso wie im Alleineigentum des Staates stehende öffentliche Unternehmen, die in den Formen des Privatrechts organisiert sind, einer unmittelbaren Grundrechtsbindung (vgl. Urteil des BVerfG vom 22.02.2011, 1BvR 699/06, Rn. 46). Zwar sind durch das Gericht keine Feststellungen zu den Beteiligungsverhältnissen der SEV getroffen worden, aus der in den Urteilsgründen zitierten Hausordnung ist jedoch die beherrschende Stellung der Bundesanstalt für Immobilienaufgaben für die Nutzung des Geländes zu entnehmen. Durch die insofern bestehende Grundrechtsbindung werden dem Hausrecht Grenzen gezogen. Zwar ist die öffentliche Hand nicht grundsätzlich daran gehindert, die Handlungsinstrumente des Zivilrechts für ihre Aufgaben-wahrnehmung zu nutzen. Jedoch sind einseitig verbindliche Entscheidungen, etwa die Nutzung des Hausrechts, durch legitime Gemeinwohlzwecke am Maßstab der Grundrechte und des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zu rechtfertigen (BVerG, a.a.O., Rn. 56). Das Landgericht hätte sich daher insoweit damit auseinandersetzen müssen, ob in den vorliegenden Einzelfällen Grundrechte des Angeklagten, insbesondere die Meinungsfreiheit nach Art.5 Abs.1 GG, den Zugang zu den gegenständlichen Geländeteilen garantieren und gegenüber dem Hausrecht überwiegen.

Art. 5 Absatz 1 Satz 1 GG schützt das Äußern einer Meinung nicht nur hinsichtlich ihres Inhalts, sondern auch hinsichtlich der Form ihrer Verbreitung. Hierzu gehört namentlich das Verteilen von Flugblättern, die Meinungsäußerungen enthalten. Geschützt ist darüber hinaus auch die Wahl des Ortes und der Zeit einer Äußerung. Der sich Äußernde hat nicht nur das Recht, überhaupt seine Meinung kundzutun, sondern er darf hierfür auch die Umstände wählen, von denen er sich die größte Verbreitung oder die stärkste Wirkung seiner Meinungskundgabe verspricht (BVerfG, a.a.O.,Rn.97, m.w.N.). Allerdings verschafft Art.5 Abs.1 Satz 1 GG dem Einzelnen keinen Anspruch auf Zutritt zu ihm sonst nicht zugänglichen Orten. Die Meinungsfreiheit ist dem Bürger nur dort gewährleistet, wo er tatsächlich Zugang findet (BVerfG,a.a.O., Rn 98).

Mit dem "Apellplatz" und der Besucherinformation hat sich der Angeklagte in öffentlich zugänglichen Bereichen aufgehalten. Soweit sein Aufenthalt auf dem Gelände der Burg Vogelsang dazu diente, Handzettel zu verteilen und Besucherführungen durchzuführen, um hierbei seine kritische Einstellung zu den dortigen Entwicklungen kund zu tun, kann er sich grundsätzlich auf sein Grundrecht auf Meinungsfreiheit berufen.

Die Meinungsfreiheit ist allerdings nicht unbeschränkt gewährleistet. Vielmehr findet sie ihre Schranken in den allgemeinen Gesetzen, zu denen auch das aus dem BGB abzuleitende Hausrecht gehört (BVerfG a.a.O., Rn. 100). Im vorliegenden Fall kann die Bundesanstalt für Immobilienaufgaben bzw. die sie vertretende SEV indes wegen ihrer unmittelbaren Grundrechtsbindung das Hausrecht nicht wie private Bürger prinzipiell nach Gutdünken zur Durchsetzung ihrer Interessen verwenden, sondern darf es zur Unterbindung von Meinungskundgaben nur ausüben, soweit es öffentlichen Interessen oder der Gewährleistung der Sicherheit und Funktionsfähigkeit des Komplexes dient (vgl. BVerfG, a.a.O., Rn 102, 104).

Den Feststellungen der Kammer ist jedoch nicht zu entnehmen, dass der Angeklagte Sicherheitsbelange beeinträchtigt oder sonst den ordnungsgemäßen Betrieb der Anlage gestört hat. Auch ist weder aus der Art der Meinungskundgabe durch die Besucherführung noch aus dem Inhalt der verteilten Handzettel eine strafrechtliche Relevanz zu ersehen. Unter Berücksichtigung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes ist damit in den gegenständlichen Fällen ein Überwiegen der Meinungsfreiheit des Angeklagten gegenüber dem Hausrecht zu erkennen, dass jedenfalls die Widerrechtlichkeit des Betretens entfallen lässt.

Es kann ausgeschlossen werden, dass eine erneute tatrichterliche Verhandlung zu weiter-gehenden tatsächlichen Feststellungen und darauf gestützt zu einer rechtlichen Bewertung der dem Angeklagten zurechenbaren Vorgänge führen könnte, die rechtsfehlerfrei einen Schuldspruch begründen würden. Die Sachverhaltsfeststellungen des angefochtenen Urteils lassen keine Lücken und keinen Raum für Ergänzungen erkennen; sie erscheinen vielmehr umfassend und ausreichend für eine abschließende rechtliche Beurteilung.

Auf ihrer Grundlage kann der Senat daher in der Sache selbst entscheiden. §354 Abs.1 StPO.

Dem stimmt der Senat zu.

Die Kostenentscheidung beruht auf §467 Abs.1 StPO.

Schlemm                                           Jütte                                                    Vogt